Wer sich einen Überblick über die wesentlichen Risiken des Börsenjahres 2022 verschaffen will, sollte als Erstes seinen Fernsehapparat einschalten. Und zwar nicht für die Tagesschau, sondern auf Netflix gehen und dort die Staffel „Die letzten Zaren“ anwählen. Und was hat nun der letzte Zar Nikolaus II. mit dem Börsenjahr 2022 zu tun? Hoffentlich gar nichts, vielleicht aber sehr viel. Denn Nikolaus II. hat sein mehr schlecht als recht regiertes großes Reich ohne Not in den 1. Weltkrieg geführt. Am 30. Juli 1914 verkündete er die Generalmobilmachung in Russland und lieferte damit Deutschland einen Vorwand für die Kriegserklärung an Russland. 4 Jahre später ist der Krieg verloren und die Zarenfamilie Romanow nach 300 Jahren nur noch Geschichte.
Wir hoffen, dass Präsident Putin und seine Berater sich diese Serie besonders aufmerksam ansehen werden. Vielleicht sogar zweimal, um daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Denn auch Zar Nikolaus II. sah sich im Sommer 1914 in einer so starken Stellung, dass er den Krieg nicht scheute. „Wer Wind sät, wird Sturm ernten“ wusste schon Willy Brandt.
Falls es zum Krieg in Osteuropa kommt, wollen Anleger natürlich wissen, wie es weitergehen könnte und was dann zu tun ist. Hier ist ein Blick auf den Überfall des irakischen Präsidenten Sadam Hussein auf das ebenso friedliche Kuwait am 3. August 1990 sinnvoll. Die Aktienmärkte fielen daraufhin kräftig aus Sorge um die Ölversorgung. Die Kurse erreichten im September/Oktober 1990 die Tiefpunkte und bildeten danach einen ausgedehnten Boden. Als dann im Januar 1991 die Amerikaner unter Führung des legendären Generals Schwarzkopf mit ihren Verbündeten die Befreiung Kuwaits angingen, stiegen die Kurse weltweit wieder und hatten dann im Sommer 1991 ungefähr das Niveau von vor dem Überfall auf Kuwait erreicht. Wer bei Kriegsbeginn im Januar 1991 den vielen Empfehlungen gefolgt ist und aus Angst verkauft hat, tat dies knapp über den tiefsten Kursen. Und wird sich einige Wochen später kräftig geärgert haben.
Natürlich ist klar, dass ein möglicher Ukraine-Krieg nicht mit einem amerikanischen Militäreinsatz enden könnte. Aber an den Börsen könnte die Entwicklung ähnlich verlaufen. Anleger sind daher nach unserer Meinung gut beraten, Engagements trotz Säbelrasselns aus Moskau aufrecht zu erhalten.
Dr. Georg Thilenius
Der Autor ist geschäftsführender Gesellschafter der bankunabhängigen Vermögensverwaltung Dr. Thilenius GmbH in Stuttgart. Das Unternehmen unterliegt der BaFin.